Brief aus Kinondo (2020)

Bericht von Tilman Lichtenthaeler

Jambo Rafiki, hallo liebe Freunde!

Seit dem sechsten Januar bin ich wieder in Kenia unterwegs, und fleißig mit dem beschäftigt, was ich am liebsten mache, Geld ausgeben.

Fünf vollkommen neue Brunnen haben wir in diesem Jahr errichten können, teils in arg unwegsamem Gelände, zwei dieser Brunnen würde ich allein niemals wiederfinden können. Und wir haben es diesmal mit wirklich anspruchsvollen Umständen zu tun. Normalerweise ist es hier von Mitte Dezember bis Ende März knochentrocken. Das bedeutet, dass wir nicht mit Überschwemmungen und Erdrutschen rechnen müssen, und dass der Grundwasserstand so niedrig ist, dass wir problemlos so tief ausschachten können, dass die Brunnen dann auch sicher das ganze Jahr über Wasser haben. Nicht so in diesem Jahr. Wegen eines seltsamen Wetterphänomens kommt hier nun schon seit Anfang Januar all der Regen herunter, der auf der anderen Seite des Indischen Ozeans, in Australien fehlt. Nun kann es während der regulären Regenzeiten hier bereits in einem Ausmaß regnen, das man sich in Europa kaum vorstellen kann, allerdings hatten wir in den vergangenen Wochen Gewitter, bei denen beispielsweise mein Garten einmal innerhalb von 30 Minuten fast 40 cm. tief unter Wasser lag.

Das sorgt nun für eine ganze Reihe von Problemen. Zunächst einmal wird mir kein Mensch zuhause glauben, wie dringend die Leute hier Wasser brauchen, weil es auf fast allen Fotos so aussieht, als seien sie im Tropenhaus des Frankfurter Palmengartens aufgenommen, es ist zur Zeit paradiesisch grün hier. Dann bedroht der Regen, der wie eben geschrieben, in den vergangenen Wochen gerne extrem schnell und stark kam unsere Baustellen, Die Gefahr besteht, dass es uns die Brunnenschächte schlicht mit einem Sand / Wassergemisch vollspült, oder dass die Schachtränder einbrechen. Am Ende hat man dann statt eines Brunnenschachts einen riesigen Trichter, und alle Arbeit war umsonst. Und schließlich leiden wir, der noch nicht allzu heißen, aber extrem feuchten Witterung wegen unter einer massiven Insektenplage. Da der Regen, der noch verhältnismäßig niedrigen Temperaturen wegen nicht schnell abtrocknet, haben wir, vor allem in Mulden und schattigen Bereichen ein dauerfeuchtes Klima. Ich habe hier schon abends zum Essen und Schreiben ins Bett gehen müssen, weil nur dort das Moskitonetz wenigstens einigermaßen Ruhe versprach. Fliegende Riesenameisen, massenweise Heuschrecken, 6 cm. große fliegende Kakerlaken, tausende Libellen und und und..... Glauben Sie mir, so genau wollen Sie das gar nicht wissen.

Unerfreulich ist hierbei, dass all das in Ausmaßen altägyptischer Plagen einfallende Getier anscheinend nicht darüber informiert wurde, dass es Produkte wie Autan oder No Bite eigentlich nicht zu mögen hat.

Das Einbrechen der Brunnenschächte konnten wir bisher verhindern, ich habe mich einfach meiner holländischen Vorfahren erinnert, und den Leuten in den Dörfern beigebracht, wie sie Drainagen um die Baustellen herum graben müssen. Dadurch konnten auch Sturzbachartige Wassermassen abgeleitet werden, bisher hat das gut geklappt. Einer der Brunnen wird in einer Gegend, in der der Untergrund aus extrem instabilem Sand besteht nun dadurch gesichert, dass wir bei einem Schulhaus in der Nähe von einem zur Zeit nicht gebrauchten Seitenanbau das Wellblechdach entfernt haben und damit abends die Baustelle abdecken.

Natürlich trocknet bei der dauernden Feuchtigkeit auch der Mörtel, mit dem die Brunnenschächte innen vermörtelt werden extrem langsam, sodass es kaum möglich ist weiterzuarbeiten. Hier habe ich daher angefangen abends nach Arbeitsende Eisenschalen mit glühender Holzkohle an Eisenketten in zwei der Schächte abzulassen. Da muss jetzt wegen Abwesenheit der Feuerstelle halt in der Dorfkneipe erst mal die Küche kalt bleiben, aber immerhin funktioniert es.

Das klingt alles recht dramatisch, aber trotz der widrigen Umstände ist es uns bisher gut gelungen, einigermaßen im Zeitplan und im Budget zu bleiben.

Der Brunnen, den die St. Martinsgemeinde in diesem Jahr gespendet hat entsteht südlich von Kinondo, in einem Dorf mit dem Namen Makogeni. Hier werden ca. 2800 Menschen von nun an, und erstmals in ihren Leben, dauerhaft frisches und sauberes Wasser zur Verfügung haben.

Dieses Dorf ist etwas ganz besonderes. Es liegt nahe am Indischen Ozean, am Rand eines weitläufigen Mangrovengebietes. Das ist eine Art Lagune, die zweimal täglich, wenn die Flut kommt von Meerwasser überflutet wird, wobei der Wasserstand aber niemals höher als ca. achtzig Zentimeter steigt. Weite Teile des sehr flachen Areals sind von Mangrovenwäldern bewachsen, ein idyllisches Plätzchen. Vor einigen Jahren begannen die Menschen hier, mitten im Überschwemmungsgebiet, durch das Aufschütten von etwa zwei Meter hohen Deichen rechteckige Becken in der Größe von Tennisfeldern zu schaffen und für die Fischzucht zu nutzen. Immer wenn die Flut kommt werden Schotts an der dem Meer abgewandten Seite geöffnet, sodass frisches, nährstoffreiches Wasser einströmen kann, setzt die Ebbe ein, wird ein Schott auf der dem Ozean zugewandten Seite geöffnet, um wieder Wasser abfließen zu lassen. In den sechs Becken, die die Dorfbewohner inzwischen angelegt haben gedeihen unterschiedlichste Fischarten, zu denen die Menschen mit den eher bescheidenen technischen Möglichkeiten ihrer Boote sonst keinen Zugang hätten. Diese Fischfarmen ernähren das Dorf gut, es gibt sogar Überschüsse, die auf umliegenden Märkten verkauft werden können. Die Menschen, die sich hier zusammen gefunden haben, stammen ursprünglich aus verschiedenen Regionen Kenias, viele kamen, weil bedingt durch die zunehmenden Klimakapriolen, immer größere Teile des Landes unbewohnbar werden, oder weil in ihrer ursprünglichen Heimat, falls dort die Böden gut waren, internationale Großkonzerne inzwischen Farmen betreiben, auf denen Gemüse, Obst und Blumen für den Europäischen Markt produziert wird. Menschen verschiedensten Herkommens also und auch mit unterschiedlichen Religionen leben hier friedlich miteinander, und der Wahlspruch auf dem Kenianischen Staatswappen „Harambee“ was so viel bedeutet wie: „gemeinsam schaffen wir es, alle ziehen an einem Strang“, funktioniert hier im Kleinen deutlich besser, als in der großen Politik.

Es gibt aber noch etwas anderes, was dieses Dorf besonders macht. Hier fanden eine Reihe von Frauen Aufnahme, die ein behindertes Kind haben. Die Situation dieser Frauen ist in Afrika normalerweise chancenlos. Ein Kind, dass nicht den Erwartungen entspricht das anders oder in irgendeiner Weise eingeschränkt ist gilt vielen als böses Omen, als von den Geistern verflucht, und oft genug werden solche Kinder einfach umgebracht. Natürlich sind die Väter generell der Meinung, dass diese Behinderung auf der Unfähigkeit der Frau beruht gesunde Kinder zu gebären, und deshalb werden die Mütter in der Regel davongejagt, ohne jeden Anspruch auf Unterstützung. Vielleicht hat die Toleranz der Menschen hier damit zu tun, dass in Makogeni so viele Menschen unterschiedlichen Herkommens und unterschiedlicher Vorstellungen zusammengekommen sind, jedenfalls gibt es hier keine Ausgrenzung, die Frauen und ihre Kinder sind Teil der Dorfgemeinschaft und tragen bei was sie können.

Das einzige große Problem der Leute von Makogeni ist das Wasser. Zwar liegt so nahe am Meer der Grundwasserspiegel ziemlich hoch, es wäre also sicher nicht sonderlich aufwändig, einen Brunnen zu graben, allerdings drückt sich auf Grund des porösen Korallenuntergrundes das Meerwasser weit ins Land hinein, das Grundwasser ist als recht salzhaltig und ungenießbar.

Mit Hilfe eines Wassergängers, der unter Zuhilfenahme von allerlei kultischem Gerät und tatsächlich auch einer Wünschelrute unterwegs war, konnten wir aber eine ergiebige Süßwasserader finden. Ich sehe direkt, wie Sie mit den Augen rollen, und all das als Hokus Pokus bezeichnen. Mag sein, allerdings habe ich hier im Laufe der Jahre so viele Dinge erlebt, die wir uns niemals vorstellen könnten, dass ich bezüglich solcher Aussagen inzwischen sehr demütig geworden bin. Außerdem bleibt ja am Ende die Erkenntnis dass es funktioniert hat, und so entstand in den vergangenen Wochen am Rande der Lagune ein leistungsfähiger Brunnen, der ausgezeichnete Wasserqualität aufweist. Mit einem großen und bunten Fest, bei dem den fernen „Mzungu“ (Bleichgesichter, Weiße) sicher immer wieder und auf ergreifende Weise gedankt worden wäre, wollten wir den Brunnen heute einweihen. Hier allerdings schoben die Sicherheitsmaßnahmen auf Grund des Corona Virus einen Riegel vor.  Ungefähr einhundert Menschen hatten sich bereits versammelt, der Brunnen war geschmückt, die Honoratioren saßen auf ihren Ehrenplätzen, als in einer riesigen Staubwolke ein Jeep der Regionalbehörde herbeibrauste und die Versammlung aufhob. Ab heute gilt nämlich auch in Kenia ein absolutes Versammlungsverbot. Das war sicher irgendwann zu erwarten, traf aber alle doch sehr überraschend, immerhin gibt es in Kenia bisher nur einen nachgewiesenen Coronafall, der ist in Nairobi, also sehr weit weg. So fallen auch die Bilder von der Eröffnungszeremonie diesmal sehr bescheiden aus.

Immerhin musste ich nicht als einziger Vertreter unserer Gemeinde an der Veranstaltung teilnehmen, Meine Frau, die seit zwei Wochen hier ist, hat die zeremoniell wichtige Kokospalme zur Erinnerung an den großen Tag gepflanzt. Kokospalmen bringen Früchte hervor, haben also mit Fruchtbarkeit zu tun, deshalb ist so etwas unbedingt Frauensache.

Eine besondere Freude wäre es für uns gewesen, dass unser Sohn Johannes, von Südafrika kommend eigentlich zur Einweihung hier sein wollte und danach eine Woche mit uns verbracht hätte. Nun hat sich auch in Afrika alles verändert, am Wochenende hat Südafrika außerordentlich rigide Maßnahmen in Kraft gesetzt, auch Kenia hat seine Grenzen für alle Einreisen geschlossen, sodass diese Reise komplett ins Wasser fällt, Johannes also nicht kommen kann.  Ihn trifft es allerdings noch an einer anderen Stelle. Alle europäischen Entsendeorganisationen rufen weltweit ihre Freiwilligen zurück, alle Auslandsjahre sind mit sofortiger Wirkung beendet. Das bedeutet, Johannes wird wohl bereits an diesem Wochenende wieder von Johannesburg nach Deutschland fliegen müsssen, vier Monate vor der Zeit.

Doch zurück zu erfreulicheren Nachrichten. In den vergangenen Wochen haben wir noch vier weitere Brunnen fertiggestellt. Zwei wurden ermöglicht durch Kelsterbacher  Bürger, die anlässlich ihrer Geburtstagsfeier ihre Gäste darum gebeten hatten, statt Geschenken eine Spende für meine Projekte in Kenia beizusteuern. Ein Brunnen war das Geschenk von Freunden aus Bremerhaven, und der fünfte wurde dadurch ermöglicht, dass der Abiturjahrgang des Rabanus Maurus Gymnasiums in Mainz die Kollekte des Abiturgottesdienstes spendete. Da das allein für den Brunnen nicht reichte, haben die jungen Leute daraufhin weiter gesammelt und auch selbst gespendet, bis sie das Geld schließlich zusammen hatten.

Nun bleibt noch anzufügen, dass die Projekte der vergangenen Jahre alle gut laufen, eine Erweiterung unserer Schneiderei und verschiedene Ausstattungsstücke für unsere Grundschule konnte ich durch Einzelspenden aus unserer Gemeinde ermöglichen.

Auch die beiden Pflugochsen (Tilman und Johannes, raten Sie mal, wer die angeschafft hat) die wir vor zwei Jahren für die Farm kauften erfreuen sich bester Gesundheit.

 

Mittlerweile sind meine Frau und ich schon seit drei Monaten wieder zurück in Europa. Unsere Rückkehr gestaltete sich etwas abenteuerlich, da auch in Ostafrika die Covid 19 Krise das Leben vollkommen veränderte. Eine Fluggesellschaft nach der anderen stellte den Betrieb ein, schließlich auch die, mit der wir zurückfliegen sollten. Die Kenianische Regierung riegelte das Land vollkommen ab, es kam also niemand mehr hinein, allerdings auch niemand mehr hinaus.

Gleichzeitig sorgte eine absolute Ausgangssperre zwischen 19.00 und 5.00 für gefährliche Situationen, um sie durchzusetzen wurde auch Militär eingesetzt, und es wurde viel geschossen, auch bei uns.

Das Gesundheitssystem Kenias war natürlich auf eine Epidemie in keiner Weise vorbereitet, das Ausmaß der Hilflosigkeit mag man daran erkennen, dass Rotkreuzschwestern in den Slums der Städte unterwegs waren, und den Menschen allen Ernstes rieten, mit Chlorbleiche zu gurgeln.

Schnell waren alle Arten von Zusammenkünften, mit Ausnahme religiöser Veranstaltungen verboten worden, keine gute Idee, wenn man bedenkt, dass bei Gottesdiensten gerne mal 5000 Menschen zusammenkommen, keine gute Idee aber auch, weil die Unsicherheit und Hilflosigkeit der Menschen sie für allerlei gefährlichen Unsinn sehr empfänglich machte. So verkündete beispielsweise ein Baptistenprediger in Ukunda, Corona sein von den Muslimen entwickelt worden um die Christen auszurotten, Gott ließe das zu um seine gleichgültig gewordenen Gemeinden zu strafen.......  Eine Stunde später brannten dann in Ukunda die ersten Häuser.

Inzwischen hat das Virus in Kenia unzählige Opfer gefordert, es kann auch gar nicht anders sein, denn wie sollen sich Menschen, die oft auf engstem Raum zusammenleben, und denen mangels Wasser die grundlegendsten Hygienemaßnahmen unmöglich sind schützen?

Dass die Afrikanischen Staaten auf den Listen der am stärksten betroffenen Länder nicht auftauchen liegt einfach daran, dass dort niemand zählt. Getestet wird ohnehin kaum, womit auch? So geht ein großes Sterben durch das Land, einmal mehr unbemerkt von der Welt.

 

Wir selbst konnten Kenia schließlich im Rahmen der Rückholaktionen des Deutschen Außenministeriums verlassen. Die Botschaft in Nairobi, an die ich mich gewandt hatte betreute uns ganz hervorragend, und als während eines Anrufs dort in unmittelbarer Nähe unseres Hauses wieder deutlich hörbar geschossen worden war ging es mit einem Platz auf dem nächsten Rückflug plötzlich sehr schnell.

Der Weg von Kinondo nach Mombasa zum Flughafen war gespenstig. Die Kenianer leben hauptsächlich im Freien, daher ist draußen immer etwas los, es ist laut und bunt, nun aber wirkte das Land wie evakuiert. Am Flughafen fehlte der übliche Trubel und das unvermeidliche Chaos, im Gegenteil, es ging äußerst diszipliniert zu, der Check in wurde nämlich von Mitarbeitern der Deutschen Botschaft einschließlich Bundespolizei durchgeführt.

Ja, die letzten zwei Wochen in Kenia waren ein wenig abenteuerlich, darüber ließe sich Stundenlang schreiben, aber schließlich saßen wir doch im Flugzeug, und dachten zurück an das in Kinondo erreichte, voll Dankbarkeit dafür, das unsere Gemeinde, dass Sie alle es ermöglicht haben, dass wir auch in diesem Jahr an unserem Projekt „Hilfe zur Selbsthilfe“ erfolgreich weiterarbeiten konnten. In einer Welt, die täglich mehr aus den Fugen zu geraten scheint, und in der wir den Irrsinn zunehmend als normal empfinden, haben Sie es ermöglicht, wieder neue und tragfähige Zeichen der Hoffnung zu setzen. Sicher, das allein rettet nicht die ganze Welt, aber hier in Kenia sagt man „haba na haba, hujaza kibaba“ (Tropfen für Tropfen füllt sich das Maß).

Ihr Tilman Lichtenthaeler